Bibel/Offener oder geschlossener Kanon?

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Offener oder geschlossener Kanon?


Kritiker behaupten, dass das Christentum einen geschlossen Schriftenkanon (keine weitere verbindliche Offenbarung) habe und die Kirche Jesu Christi sei mit ihrem offenen Kanon (der Möglichkeit weiterer bindender Offenbarungen) im Irrtum.

Quellen der Kritik

  • Luke P. Wilson, „Lost Books & Latter-Day Revelation: A Response to Mormon Views of the New Testament Canon,” Christian Research Journal (Fall 1996): 27–33.


Gott steht höher als sein Wort

Die Bibel ist ein wichtiger Bericht der Botschaft Gottes an die Menschheit. Doch die Bibel, ebenso wie jeder andere geschriebene Text kann nicht der Mittelpunkt des Glaubens oder Lebens der Christen sein. Nur einem gebührt dieser Platz: Gott. Ein Nicht-HLT Autor warnt Gläubige davor, die Bibel vor Gott zu setzen:

Es ist aber möglich, die Bibel so weit zu betonen und ihr einen so zentralen Platz zuzuweisen, dass das empfindsame christliche Gewissen dagegen rebellieren muss. Wir können solche Überbetonung der Bibel durch die oft gebrauchte (und vielleicht missbrauchte) Aussage von Chillingworth verdeutlichen: „Die Bibel allein ist die Religion des Protestantismus.” Oder wir können uns vergegenwärtigen, wie oft gesagt wurde, die Bibel sei die endgültige Autorität für den Christen. Wenn es nicht zu witzig schiene, möchte ich gerne ein gutes Wort für Gott einlegen. Gott und nicht die Bibel ist die zentrale Tatsache für den Christen. Wenn wir vom „Wort Gottes” sprechen, benutzen wir eine Phrase, die, richtig verwendet, auf die Bibel angewandt werden kann, doch hat sie ein tiefere Ursprungsbedeutung. Gott spricht zum Menschen. Doch tut er das nicht ausschließlich durch die Bibel. Er spricht durch Propheten und durch Apostel. Er spricht durch besondere Ereignisse. Und wenn auch seine einzigartige Botschaft an die Kirche ihre zentrale Aufzeichnung und Niederschrift in der Bibel findet, so erinnert uns doch gerade die Bezugnahme auf die Bibel, dass Christus das Wort Gottes in einer lebenden, persönlichen Weise ist, die sogar das, was wir in diesem einzigartigen Buch haben, übersteigt. Auch die Bibel erweist sich nur dann als Wort Gottes, wenn der heilige Geist, der in uns wirkt und die Wahrheit und göttliche Vollmacht von dem, was die Schrift aussagt, bestätigt. Der Glaube darf die Andacht und Beachtung, die Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus allein gebühren, nicht auf die Hilfsmittel konzentrieren, die Gott zur Verfügung stellt. Unsere Hoffnung ruht in Gott, unser Leben ist in Christus, unsere Kraft liegt im Geist. Die Bibel spricht zu uns vom göttlichen Mittelpunkt allen Lebens, aller Hilfe und Macht, doch ist sie nicht der Mittelpunkt. Die Christliche Lehre vom Kanon darf nicht die Heilige Schrift vergöttlichen.[1]

Zu argumentieren, der Kanon sei geschlossen, trachtet im Prinzip danach, Gottes geschriebenes Wort (die Bibel) über Gott selbst zu stellen. Einige haben diese Praxis sogar als „Bibelanbetung” bezeichnet. Im Prinzip befehlen Kritiker Gott, er dürfe nichts weiteres mehr offenbaren oder sie lehnen es ab auch nur in Betracht zu ziehen, er könnte sich vielleicht dafür entscheiden, wieder zu sprechen.

Der geschlossene Kanon ist keine biblische Lehre

Die Idee eines geschlossenen Kanons ist nicht biblisch. Die Bibel berichtet davon, dass Gott in der Vergangenheit Propheten berief. Warum sollte er das nicht auch weiterhin tun oder tun können?

Paradoxerweise scheint der einzige Weg zu wissen, dass es keine außerbiblische Offenbarung geben kann, nur eine Offenbarung zu sein. Ansonsten wird eine Entscheidung über Gottes Wort nur durch den menschlichen Intellekt allein gefällt. Doch da die Bibel nicht behauptet, sie sei die einzige Quelle offenbarter Wahrheit, wäre die einzige mögliche Quelle, um den Kanon zu schließen außerbiblisch. Daher sind jene, die auf einem geschlossenen Kanon bestehen, in der misslichen Lage, dass sie außerbiblische Offenbarung brauchen, um außerbiblische Offenbarung auszuschließen.[2]

Durch die ganze biblische Geschichte war der Kanon ganz offensichtlich nicht geschlossen. Neue Propheten wurden berufen und neue maßgebliche Schriften wurden verfasst. Es würde seltsam erscheinen, sollte dies aufhören, ohne offenbarte Nachricht, dass sich Gottes Handlungsweise ändert.

Die Auslegung der Schrift erfordert Offenbarung

Auch wenn man einräumen würde, dass die Bibel alle nötige Wahrheit enthielte, geht aus der Geschichte des Christentums eindeutig hervor, dass die Bibel von ernsthaften Lesern, auf sehr unterschiedliche Weise ausgelegt werden kann. Was anderes als zusätzliche, fortgesetzte Offenbarung kann berechtigte Fragen der Auslegung und Anwendung von Gottes Wort klären? Sollen wir uns, nur dafür, nur auf menschliche Vernunft alleine stützen? Heißt das nicht im Wesentlichen, sich an eine außerbiblische Quelle zu wenden, um Informationen über göttliche Dinge zu erhalten?


Die Lehre von einem geschlossenen Kanon und das Ende verbindlicher Offenbarung kann in der Bibel nicht gefunden werden. Auf dieser Lehre zu bestehen heißt, eine nicht biblische Lehre auf einen vorrangigen Platz zustellen und darauf zu bestehen, dass Gott dadurch gebunden sein müsse. Eine solche Lehre würde erfordern, dass gerade die Lehre, die sie bestreitet, maßgeblich sein müsste. Sogar die richtige Interpretation biblischer Lehren erfordert maßgebliche Offenbarung, die notwendigerweise außerbiblisch ist. Kritiker dürfen gerne dieser Ansicht sein, aber sie sollten nicht die HLT dafür kritisieren, dass sie außerbiblische Lehren glauben, wenn sie selbst auf einem unbiblischen geschlossenen Kanon beharren.

Fußnoten

  1. [back]  Floyd V. Filson, Which Books Belong in the Bible? (Philadelphia: The Westminster Press, 1957), 20–21.
  2. [back]  Joseph Smith made this observation in Joseph Smith, Jr., Teachings of the Prophet Joseph Smith, edited by Joseph Fielding Smith (Salt Lake City: Deseret Book Company, 1976), 61. ISBN 087579243X.


Zusätzliches Material